Ansätze zur Auslegung der Bergpredigt

 

Die Frage nach der Realisierbarkeit und damit nach der Verbindlichkeit der Bergpredigt hat in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Ansichten geführt:

 

Die Gebote der Bergpredigt wurden als erfüllbar verstanden: Es gibt keinen Grund anzunehmen, Jesus habe seine eigenen ethischen Forderungen nicht befolgt und auch gar nicht erwartet, dass sie befolgt werden. Jesus strebte eine Radikalisierung der jüdischen Ethik an und wollte, dass seine Jünger in seine kompromisslose Nachfolge eintreten.

 

Von vornherein sind die Forderungen Jesu in der Bergpredigt als unerfüllbar gedacht. Die radikalen Gebote Jesu wollen gar keine ethische Anweisung sein, sondern vielmehr deutlich machen, dass der Mensch den Willen Gottes von sich aus eben gerade nicht erfüllen kann. Erst wenn dies dem Menschen klar wird, hat er seine Situation richtig erkannt: Der Mensch ist Sünder, und das Gesetz macht die Verlorenheit des Menschen und seine Unfähigkeit zum Guten deutlich. Der Mensch muss erkennen, dass er auf Gottes Gnade, Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen ist.

 

Die Forderungen Jesu sind Forderungen für die Vollkommenen, für diejenigen, die sich zu besonderer Frömmigkeit und besonderem Gehorsam verpflichtet haben (Mönche, Asketen). Die radikalen Gebote Jesu sind „evangelische Ratschläge“ (consilia evangelica) für diejenigen, die sich um ihres Glaubens willen aus der Welt zurückziehen, damit sie ein vollkommenes Leben führen können und dabei die Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam auf sich nehmen. Für die Christen in der Welt gelten allein die praecepta dei, die 10 Gebote.

 

Die Forderungen der Bergpredigt stellen eine Ethik des Reiches Gottes dar, die nur für die Jünger Jesu und nur innerhalb der christlichen Gemeinden und im privaten Bereich gilt. Für die öffentlichen Bereiche können die radikalen Forderungen Jesu nicht gelten.

 

Die Forderungen der Bergpredigt sind in der Gewissheit formuliert, dass das Ende dieser Welt bevorsteht und die Gottesherrschaft naht. Nur für diese Zwischenzeit bis zur vollkommenen Verwirklichung des Reiches Gottes, für diesen Ausnahmezustand, der zu einer außerordentlichen Anstrengung befähigt, waren Jesu Weisungen gedacht. Die Bergpredigt beinhaltet demnach eine Interimsethik.

 

Die Forderungen der Bergpredigt machen deutlich, dass es Jesus nicht um neue Gesetze und konkrete Anweisungen geht, sondern um die Gesinnung, um die rechte Herzenseinstellung. Jesus geht es allein um die innere Haltung (Gesinnungsethik).

 

Die Forderungen der Bergpredigt sind bewusst weiter gesteckt als das, was tatsächlich erreicht werden kann. Es handelt sich hierbei um überprägnante Normen, die das Wollen, die innere Haltung und Gesinnung ausrichten sollen. Solches ist notwendig, weil das Ziel immer weiter gesteckt sein muss als das, was man dann wirklich erreichen kann (Zielgebote).

 

Die Forderungen der Bergpredigt sind auf eine neue, vollkommene Gesellschaft ausgerichtet, die nur durch eine sozialrevolutionäre Veränderung zu verwirklichen ist. Wenn die menschliche Gesellschaft in der Struktur und damit grundlegend verändert wird, wenn die unmenschlichen Verhältnisse aufgehoben werden, dann wird die Gottesherrschaft realisiert (Konzept einer zu realisierenden neuen Gesellschaftsordnung).

 

Keine dieser Deutungen ist völlig falsch, gegen jede gibt es jedoch gewichtige Einwände.

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