... Wir können der Tatsache nicht ausweichen, dass die Bergpredigt die gute Frucht, die einzelnen guten Werke, das Tun der Liebe fordert. Jede Deutung der Bergpredigt ist verfehlt, die dem nicht Rechnung trägt.
Dies gilt nun auch für die dritte Auffassung, nach welcher Jesus im Gegensatz zum Judentum eine neue „Gesinnungsethik“ vertreten haben soll. Diese Deutung kommt von Kant und der idealistischen Philosophie her; sie wird von liberalen Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts vertreten. Die Tradition, dass die Bergpredigt nicht als Gesetz verstanden werden dürfe, wird aufrecht erhalten. Jesus will die gute Gesinnung, das gute Herz. Es sollen auch die Wurzeln des Bösen aus dem Herzen des Menschen entfernt werden. Das ist natürlich richtig. Wir sahen aber schon: Herz und Handeln sind nicht zu trennen. Vor allem gilt: eine Rechtsfertigung des Menschen aus seiner Gesinnung, seinem guten willen, kommt nach der Bergpredigt überhaupt nicht in Frage, wäre dies doch nur eine moderne Parallele zu der jüdischen Lehre von der Rechtfertigung aus den Werken. Ganz abgesehen davon, dass der moderne Autonomie- und Gesinnungsbegriff überhaupt nicht in synoptische und neutestamentliche Texte eingetragen werden darf. Es genügt nicht, das Gute gewollt zu haben. Die Bergpredigt dringt auf das Tun.
(Grundriss zum Neuen Testament. Hrsg. v. G. Friedrich. Ethik des Neuen Testaments von H.- D. Wendland. Göttingen 1970.)
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