Gedenke des Sabbats,
um ihn zu heiligen

Die biblische Überlieferung (Ex 20,8-11 und Dtn 5,12-15)
"Sabbat" - was meint das?
Der Rhythmus von 6 + 1
Die verborgene Schöpfungsordnung der priesterschriftlichen Autoren
Israel erfährt die verborgene Naturordnung der 7-Tage-Woche
Die Konzeption der priesterschriftlichen Autoren

 

Die biblische Überlieferung

Ex 20,8 - 11

Dtn 5,12 - 15

8 Gedenke des Sabbats, um ihn zu heiligen, 12 Bewahre den Sabbat, um ihn zu heiligen,
  wie es dir Jahwe, dein Gott zur Pflicht gemacht hat.
9 Sechs Tage sollst du arbeiten und jede Arbeit tun. 13 Sechs Tage sollst du arbeiten und jede Arbeit tun.
10 Der siebte Tag aber ist Sabbat für Jahwe, deinen Gott.
An ihm sollst du keine Arbeit verrichten,
du und dein Sohn und deine Tochter
14 Der siebte Tag aber ist Sabbat für Jahwe, deinen Gott.
An ihm sollst du keine Arbeit verrichten,
du und dein Sohn und deine Tochter
dein Sklave und deine Sklavin und dein Sklave und deine Sklavin
  und dein Rind und dein Esel
und dein Vieh und dein ganzes Vieh
und dein Fremder innerhalb deiner Stadttore, und dein Fremder innerhalb deiner Stadttore,
  damit sich ausruhe dein Sklave und deine Sklavin wie du.
11 denn in sechs Tagen hat Jahwe Himmel und Erde, Meer und alles, was darin ist, gemacht. Aber er ruhte am siebten Tag. 15 Gedenke, dass du im Lande Ägypten Sklave warst, und dass dich Jahwe, dein Gott, herausgeführt hat mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. 
Deshalb hat Jahwe den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt. Deshalb hat Jahwe, dein Gott, dir geboten, den Sabbattag zu halten.

 

Unsere Zeiteinteilung nach Jahren und Monaten richtet sich nach der Sonne bzw. dem Mond. Sie entspricht einem in der Natur zu findenden Rhythmus und ist in der Naturordnung begründet. Die Woche dagegen entspricht keinem Zeitablauf in der Natur.  Weder die Sonne noch der Mond oder die Sterne zeigen sie an, keine biologische Uhr weist auf sie hin. Sie rührt vom jüdischen Sabbat her. Aber gerade die Wocheneinteilung erscheint uns als geradezu selbstverständlich und, ungeachtet ihrer "Unnatürlichkeit",  einer natürlichen Ordnung entsprechend. Ein bemerkenswerter Sachverhalt. 
Das Sabbatgebot und damit verbunden der Wochenrhythmus finden sich im Dekalog (Zehnwort). Und gerade beim Sabbatgebot besteht auch der wesentlichste Unterschied zwischen den beiden Fassungen des Dekalogs. Denn in beiden finden sich höchst unterschiedliche Begründungen:

Dtn 5,15 verweist auf die Geschichte (Auszug aus Ägypten - Exodus),

Ex 20,11 bezieht sich auf die Schöpfung.

nach oben

 

"Sabbat" - was meint das?

Auch der Kalender der Babylonier weist ein "schabattum / schapattum" auf. Gemeint ist damit das Fest am 15. Tag im Mondmonat, also am Vollmondtag. Feiertage am 1. Tag des Monats (Neumond) und am 15. Tag (Vollmond) sind in vielen vorderorientalischen Kulturen gegeben. So kennt auch die kanaanäische Religion regelmäßige besondere Opfer an den Neumond- und Vollmondtagen. Ob dieser mesopotamische "schabattum" direkter Vorläufer des jüdischen Sabbat ist, ist jedoch nicht geklärt. 
Das hebräische Nomen Sabbat könnte einerseits jedenfalls ein Lehnwort sein zu diesem babylonischen "schabattum". Es kann aber auch abgeleitet werden vom hebräischen Verb  "schbt" - "aufhören, ruhen". Dieses hebräische Verb "schbt" ist ein "Negationsverb", und damit meint Sabbat den "Leermond", also die mondlose Nacht mitsamt dem dazugehörigen Tag zwischen den Mondphasen. Die im AT gelegentlich nebeneinander gegebenen Begriffe von Neumond und Sabbat meinen demnach Anfang (Neumond) und Ende (Leermond) des Mondmonats. Sabbat bezieht sich dabei also nicht auf den 15., den Vollmondtag. So heißt es beispielsweise in Amos 8,5:

 "Wann ist der Neumond vorüber? Wir wollen Getreide verkaufen. Und der Sabbat? Wir wollen Korn anbieten."

 Oder bei Jes 1,13 f: 

"Bringt mir nicht länger sinnlose Gaben, Rauchopfer, die mir ein Greuel sind. Neumond und Sabbat und Festversammlung - Frevel und Feste - ertrage ich nicht. Eure Neumondfeste und Feiertage sind mir in der Seele verhasst, sie sind mir zur Last geworden, ich bin es müde, sie zu ertragen."

Diese Zusammengehörigkeit von Neumond und Sabbat würde demnach besagen, dass zur Zeit dieser Propheten (also im 8. Jh. v. Chr.) das Wort Sabbat  den letzten Tag im Mondmonat (Leermond) bezeichnet. 

Daraus ergibt sich: 

Ist das Wort "Sabbat" ein Lehnwort, dann ist ursprünglich der Vollmondtag (15. Tag) gemeint. 

Die alttestamentliche Verbindung von Neumond und Sabbat legt aber auch nahe, dass damit Anfang und Ende des Mondmonats gemeint ist. 

Ungeachtet dessen, wie dies zu entscheiden ist, gilt jedenfalls: Vor dem Exil meint Sabbat in jedem Fall in Israel nicht einen bestimmten Wochentag, sondern einen einmal im Monat vorkommenden Tag in der Mondphase, der als Sondertag einer bestimmten Feiertagsordnung unterlag. 

nach oben

 

Der Rhythmus von 6 + 1

Auch der Rhythmus "6+1" findet sich anderswo in den vorderorientalischen Kulturen. In Kanaan gab es beispielsweise die Landbrache im siebten Jahr. Diese beruhte wohl auf der Vorstellung, dass nach sechs Jahren zur Erreichung der "Fülle" - das ist im Semitischen die symbolische Bedeutung der Zahl 7- eine Regeneration des Bodens erforderlich ist. Auch für Israel war im Bundesbuch festgeschrieben: 

"Sechs Jahre kannst du in deinem Land säen und die Ernte einbringen; im siebten sollst du es brach liegen lassen und nicht bestellen. Die Armen in deinem Volk sollen davon essen, den Rest mögen die Tiere des Feldes fressen. Das gleiche sollst du mit deinem Weinberg machen und mit deinen Ölbäumen." (Ex 23,10 ff). 

(Zum Sabbatjahr vergleiche auch Neh 10,32; Josephus, Jüdische Alterümer, Buch 14, Kap. 10, Abs. 6; ders. Buch 14, Kap. 16, Abs. 2; ders. Buch 16, Kap. 1, Abs. 2.) Wohl als unmittelbare Fortsetzung dieser sozial motivierten  Landbrache findet sich in den ältesten Gesetzessammlungen (Bundesbuch, wohl 9. Jh. v. Chr.) dann die Ruhetagsregelung, die eine Arbeitsruhe am siebten Tag mit der Absicht verlangt, dass alle Arbeitenden bis hin zu den Arbeitstieren ausruhen dürfen. 

"Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremde zu Atem kommen." (Ex 23,12)

Eine solche Ruhetagsregelung hat auch ein Äquivalent in altorientalischen Arbeitsverträgen, doch ist damit noch nicht eine durchgängige Zeitstruktur vorgegeben. Diese Regelungen betreffen lediglich die Arbeitenden während der Zeit der Arbeitsphasen. Wenn in Ex 34,21 steht: "Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten Tag sollst du ruhen, zur Zeit des Pflügens und des Erntens sollst du ruhen", bedeutet dies, dass speziell in dieser Zeit der benannte Rhythmus einzuhalten ist als soziale Leistung gegenüber den Arbeitenden. Daraus ergibt sich während der Feldarbeitszeit ein Wochenrhythmus. Denkbar ist, dass das "Wochenfest" (Schawuot) am Abschluss dieser Periode von daher seine Bezeichnung hat. Die Bezeichnung Sabbat jedoch erscheint in diesem Zusammenhang nicht. 

In Dtn 5, der älteren Dekalogfassung aus vorexilischer Zeit (Beginn des 6. Jh. v. Chr.), findet sich dann jedoch eine Synthese. "Der siebte Tag aber soll ein Sabbat sein." (Dtn 5,14). Hier also wird nunmehr

der besondere Tag, der mit der Zeitmessung zu tun hat (Sabbat), 

mit der Ruhetagsregelung im Rahmen der Arbeitsgesetze ("der siebte Tag") verbunden und

mit einer Erinnerung an das Sklavendasein in Ägypten verknüpft: "Gedenke, dass du im Lande Ägypten Sklave warst, und dass dich Jahwe, dein Gott, herausgeführt hat mit starker Hand und ausgestrecktem Arm." (Dtn 5,15)

Dieser nach sechs Tagen jeweils wiederkehrende Ruhetag soll ein Feiertag sein. Dieser Festtagscharakter klingt noch nach im Verb "schmr" (bewahre, beachte, hüte).

Damit ist nicht nur der "Wochen-Sabbat", sondern ein Rhythmus als Zeitmaß vorgegeben, der nicht begründet ist mit der Naturordnung, sondern in einem heilsgeschichtlichen Ereignis aus der Geschichte Israels: der Befreiung vom Sklavendasein in Ägypten.

nach oben

 

Die verborgene Schöpfungsordnung der priesterschriftlichen Autoren

Das Zeitbewusstsein des Wochensabbats ist Grundlage der Schöpfungsvorstellung dann in Gen 1,1 - 2,4a.  Der Erschaffung des Raumes in Gen 1,6-8 geht als erstes Schöpfungswerk Gottes die Erschaffung der Zeit voraus. 

"Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag." (Gen 1,3-5)

Hier wird durch Gott nicht das Sonnenlicht erschaffen, dies geschieht am 4. Tag: 

"Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen Zeichen sein und zur Bestimmung von Festzeiten, von Tagen und Jahren dienen; sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, die über die Erde hin leuchten. So geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das größere, das über den Tag herrscht, das kleinere, das über die Nacht herrscht, auch die Sterne. Gott setzte die Lichter an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde hin leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: vierter Tag." (Gen 1,14-19)

Als erstes Schöpfungswerk erfolgt in Gen 1,3-5 die Benennung von Licht und Finsternis als Tag und Nacht. Erschaffen wird hier der 24-Stunden-Tag, bestehend aus heller und dunkler Phase mit den beiden Anfangspunkten Abend und Morgen. Erschaffen wird als erstes Schöpfungswerk Gottes also die Zeit. Die abschließende Tagesformel lautet hier bezeichnender Weise auch nicht "erster Tag", sondern "ein Tag". 

Die Tagesformel in Gen 1,1 - 2,4a strukturiert die gesamte Schöpfung als Folge von 7 Tagen im Rhythmus 6 + 1. Das Schöpfungswerk Gottes endet am 6. Tag dann mit der Formel: "der sechste Tag." Nach dem 7. Tag findet sich die abschließende Tagesformel nicht mehr. 

Fazit: In Gen 1,1 - 2,4a ist nach der Erschaffung der Zeit am ersten Tag der Rhythmus der Woche mit 6 + 1 als eine "Naturordnung" gesehen, der Gott selbst bei seinem Schöpfungswerk unterliegt.

 nach oben

Israel erfährt die verborgene Naturordnung der 7-Tage-Woche

Diese "Naturordnung" der 7-Tage-Woche ist jedoch aus der Natur nicht zu erkennen, sie ist auch nicht logisch zu begründen und ist damit im strengen Sinn kein "Naturrecht", sondern entstammt der besonderen und einmaligen Erfahrung, die Israel in seiner Geschichte mit Gott gemacht hat.

Im Buch Genesis begegnet uns der Wochenrhythmus (6 + 1) angefangen bei den Patriarchenerzählungen bis hin zu Mose und den Israeliten in Ägypten nirgendwo. Er war offensichtlich noch unbekannt. In Ex 16,13-36 erstmals wird deutlich gemacht, dass der siebte Tag der Woche etwas Besonderes ist: Dies erfahren die Israeliten durch das Manna-Wunder. Gott ernährt sein Volk auf dem Zug durch die Wüste auf seine eigene Weise und in seinem eigenen Rhythmus. Jeder bekommt unabhängig von Arbeitsaufwand und Fähigkeiten so viel, wie er braucht. Jeden Tag sollen sie Manna sammeln. Doch am sechsten Tag ist das Gesammelte doppelt so viel wie an den anderen Tagen. Am siebten Tag gibt es kein Manna und das ansonsten nicht über den Tag haltbare Manna hält am sechsten Tag zwei Tage lang. 

"Morgen ist Feiertag, heiliger Sabbat zur Ehre des Herrn. Backt, was ihr backen wollt, und kocht, was ihr kochen wollt, den Rest bewahrt bis morgen früh auf! Sie bewahrten es also bis zum Morgen auf, wie es Mose angeordnet hatte, und es faulte nicht, noch wurde es madig. Da sagte Mose: Esst es heute, denn heute ist Sabbat zur Ehre des Herrn. Heute findet ihr draußen nichts. Sechs Tage dürft ihr es sammeln, am siebten Tag ist Sabbat; da findet ihr nichts. Am siebten Tag gingen trotzdem einige vom Volk hinaus, um zu sammeln, fanden aber nichts. Da sprach der Herr zu Mose: Wie lange wollt ihr euch weigern, meine Gebote und Weisungen zu befolgen? Ihr seht, der Herr hat euch den Sabbat gegeben; daher gibt er euch am sechsten Tag Brot für zwei Tage. Jeder bleibe, wo er ist. Am siebten Tag verlasse niemand seinen Platz. Das Volk ruhte also am siebten Tag." (Ex 16,23-30)

Das Volk verspürt die Gottesnähe, die sich mit dem siebten Tag verbindet. Mitten in der Wüste, noch weit vom Sinai, dem Ort Gottes entfernt, erscheint den Israeliten die Herrlichkeit ("kawod") Gottes, seine intensive Gegenwart. Das rätselhafte Wundergeschehen erhält am Sinai dann seine Erklärung. Durch göttliche Offenbarung direkt an das Volk bekommt Israel einen Einblick in die "verborgene Naturordnung" der Zeit und soll sich selbst in diese göttliche Ordnung einfügen. 
In Ex 20,8-11 wird diese Ordnung begründet mit dem Schöpfungsgeschehen, dessen der Mensch "gedenken" (hebr. "zkr") soll.  Er soll sich die Zeitstruktur des Schöpfungswerks bewusst machen, dem sich selbst Gott eingeordnet hat.
In Dtn 5 steht "schmr" (bewahren, beachten, hüten) und meint das Einhalten der Festtagsordnung im Rahmen eines nationalen Gedenktags. 
In Ex 20 geht es dagegen um eine kosmische Größe: Der Wochenrhythmus und das Beachten des Sabbat als Ruhetag rührt aus einer (wenn auch verborgenen) natürlichen Ordnung, grundgelegt im Schöpfungsgeschehen.

Dazu kommt eine neue Sicht von Arbeit und Ruhe:
Galt in der Antike die Arbeit als Sache der Sklaven und Frauen ("die da unten") und die Muße als Sache der freien Männer ("die da oben"), so findet sich hier eine ganz andere Verteilung: Es gibt Arbeitstage und Ruhetage - für alle. Arbeit ist kein Übel, das den Sklaven aufgelastet wird. Arbeit ist etwas "Normales" für alle, die im Wechsel von Arbeit und Ruhe geschieht. Der Sabbat ist damit eine Institution, die zugleich religiös und sozial ist. Mit ihm findet ein grundlegender Zug des biblischen Gottes sowie des Glaubens an ihn eine deutliche Gestalt: Das Religiöse und das Soziale sind völlig untrennbar, sind zwei Seiten einer Medaille, ununterscheidbar, identisch. Der Sabbat ist heilig, an ihm wird geopfert, finden in den Synagogen Gottesdienste statt, andererseits geschieht die Heiligung gerade nicht durch gottesdienstliche Aktivitäten, sondern durch Nicht-Arbeiten, Ruhen, durch Einbeziehen aller in diese Ruhe. Ausdrücklich werden neben dem "Du" (d.i. der israelische Mann und seine Frau) auch Sohn, Tochter, Sklave und Sklavin, Vieh und die Fremden genannt. Das sind im damaligen sozialen Kontext provozierende Aussagen. Hier werden fundamentale Rechte für die weitgehend rechtlosen Sklaven formuliert. Der Sabbat gilt schließlich auch für Menschen mit fremder (eventuell ganz anderer religiöser) Herkunft, er gilt sogar für die Tiere und somit die ganze Schöpfung. In diesem Rhythmus der Woche zu leben, ist die erste und grundlegende Form der Nachfolge Gottes. Im Rhythmus von Arbeit und Ruhe bildet der Mensch göttlichen Rhythmus ab und zieht das Göttliche in diese Welt.

Gen 1,1 - 2,4a (Erschaffung der Welt), Ex 16,13 - 36 (Mannawunder), Dtn 5,12 und Ex 20,8 (Dekalog) sowie Ex 31,13 ff gehören inhaltlich zusammen. Die dortigen Inhalte wurden wohl in besonderer Weise den Israeliten während des Babylonischen Exils von den Priestern nahegebracht. Es sollte bewusst gemacht werden, dass die Einhaltung des Sabbat sogar im fremden Land in die unmittelbare Gegenwart und die unübertreffbare Nähe Gottes führt. Das Gebot, den Sabbat zu halten, wie es dann in Ex 20,8 f und besonders 31,13 ff später seinen schriftlichen Niederschlag fand, ist in seiner Intention eindeutig: Im Sabbat erscheint die "Herrlichkeit" (kawod) Gottes, er dient dem Leben und ermöglicht, Gott nahe zu sein.

nach oben

 

Die Konzeption der priesterschriftlichen Autoren

Die Konzeption der priesterschriftlichen Autoren hat die gesamte Menschheit bestimmt. Die gesamte Menschheit lebt die Zeitstruktur der Woche, seit Jahrtausenden wird sie in unterschiedlichen Kulturen und Religionen, sozialen Ordnungen und politischen Systemen praktiziert und hat sich trotz mancher Krisen immer wieder bewährt.
Mehrfach gab es Versuche, zusammen mit der jüdisch-christlichen Religion auch diese Zeitstruktur abzuschaffen:
So wurde während der Französischen Revolution anstelle des Siebener-Rhythmusses die Dekade eingeführt und in der Sowjetunion in den Jahren 1929 - 1949 die fünftägige Woche. Gehalten haben sich diese Änderungen jedoch nicht. 

Innerhalb der Struktur der Sieben-Tage-Woche gab es freilich Änderungen im Rhythmus:

Die Christen haben sich zunächst, weil im Dekalog verankert, an den Sabbat und damit an die Struktur 6 + 1 gehalten. In Erinnerung an die Auferstehung Jesu aber haben sie zusätzlich am ersten Tag der Woche (vgl. Apg 20,7; 1 Kor 16,2; Offb 1,10) eine Gemeindeversammlung abgehalten. Dieser "Herrentag" ist anders als der Sabbat zunächst Feiertag, aber nicht Ruhetag. An der Zählung der Wochentage hat sich dabei nichts geändert: Der Sonntag ist der erste Tag der Woche und damit der Tag nach dem Sabbat. Erst Ignatius von Antiochien (Brief an die Magnesier) grenzt ab: Die, die zu neuer Hoffnung gekommen sind, die Christen also, feiern nicht mehr den Sabbat, sondern leben gemäß dem Herrentag. Hier äußert sich bereits christliche Sabbatpolemik. 
Der von den Christen gefeierte "Herrentag" wurzelt im Christusgeschehen und erinnert an das "Herrenmahl", die Mahlfeier und Zusammenkünfte des Auferstandenen mit den Jüngern (Lk 24,30.41-43; Joh 20,19.26). Der Barnabasbrief (um 130) spricht vom "Achten Tag" und brachte ihn mit der "Neuschöpfung" in Christus sowie der Auferstehung und Himmelfahrt in Zusammenhang.

Sicher ist, dass Judenchristen zunächst weiterhin am liturgischen Leben des Judentums teilgenommen und somit auch den Sabbat gefeiert haben, zusätzlich zum Sonntag. Das Konzil von Laodicea (um 380) akzeptierte noch eine Hervorhebung des Sabbats neben dem Sonntag durch Gottesdienste. Vereinzelt wird für streng judenchristlich lebende Gruppen noch bis ins 4. Jh. die Bewahrung des Sabbats überliefert. Daneben ist auch unter Heidenchristen immer wieder Interesse und Sympathie für den Sabbat zu beobachten. (Noch im 15./16. Jh. finden sich die Sabbatarier, seit dem 19. Jh. die Sieben-Tags-Adventisten! Die äthiopischen Christen feiern einen christlich gedeuteten Sabbat noch heute neben dem Sonntag.)

Ausschließlich den Sonntag zu feiern wird zunächst unter Heidenchristen üblich gewesen sein. Die auf Paulus zurückgehenden heidenchristlichen Gemeinden haben den Sabbat nicht gefeiert (Kol 2,16). 

Seit dem 2. Jh. setzt sich die heidenchristliche Praxis des Sonntags durch. Der Sabbat wurde großkirchlich nicht mehr gefeiert. Die christlichen Gemeinden versammelten sich zu einer Eucharistiefeier vermutlich am Sabbatabend als Beginn des Sonntags oder am Sonntagabend. Verbunden war diese mit einem Sättigungsmahl. Seit dem 3./4. Jh. prägen die Eucharistiefeier am Morgen und die Vesper den Sonntag. Man fastete an diesem Tag nicht. Das Konzil von Nizäa verbot 325 das Knien am Sonntag: Es sei nicht die Haltung derer, die durch die Auferstehung von Sünden befreit seien. Der Sonntag war zunächst aber kein Ruhetag. 

Dies änderte sich unter Kaiser Konstantin. Im Jahr 321 n. Chr. legt er  den Ruhetag auf den ersten Tag der Woche, den Sonntag fest. Eine Tätigkeit des Handwerks und Gewerbes sowie der Gerichte ist am Sonntag, "dem verehrungswürdigen Tag der Sonne", verboten. Ausgenommen wurden die Bauern. Die Soldaten dagegen werden am Sonntag vom Dienst befreit. Der Sonntag wird empfohlen als der Tag, um Sklaven frei zu lassen, für die ebenfalls die Sonntagsruhe gilt. 

Somit gilt nicht mehr der Rhythmus 6 + 1, sondern der Rhythmus 1 + 6.

Schließlich wurde der Rhythmus innerhalb der Woche auch durch den Islam verschoben, der seinen Feiertag auf den Freitag legte, wobei dieser Feier- und Gebetstag allerdings nicht mit der Arbeitsruhe des biblischen Sabbats verbunden wird. Dies rührt daher, dass der Islam, im Gegensatz zu den Christen, sich nicht an die Autorität des Dekalogs gebunden fühlt.

 

Im Jahr 1976 wurde schließlich durch eine UN-Kommission für den bürgerlichen Kalender der Wochenbeginn von Sonntag auf den Montag verlegt. Ob eine derartige Abweichung von einer jahrtausend alten Tradition notwendig und sinnvoll war, mag dahin gestellt bleiben.

 

Während die christlichen Kirchen sich heute gemeinsam, wenn auch eher etwas hilflos, um die Feier des Sonntags bemühen, sieht die Realität meist anders aus. Das Erscheinungsbild des Sonntags hat sich mit der Neuordnung der Arbeitszeit ("gleitende Arbeitswoche", "verkaufsoffene Sonntage" usw.) und auch dem "langen Wochenende", das mit dem Freitag beginnt, markant verändert. Kalendarisch ist aus dem ersten Tag der Woche der letzte Tag der Woche geworden (1976). Der christliche Sonntag besitzt, auch als Konsequenz einer verbreiteten Glaubenskrise, längst den Charakter einer Subkultur. Innerhalb der Kirchen wird er im Sinne der Tradition nur noch von einer Kerngruppe begangen, wie die gesunkene Zahl der Gottesdienstbesucher zeigt. Die Erwartungen vieler Gläubigen an die Liturgie haben sich geändert. Auch die Qualität der Gottesdienste wird sehr häufig und in zunehmendem Maße nicht als dem Gefeierten entsprechend empfunden. Daneben stellt sich besonders in der katholischen Kirche vermehrt das Problem der "priesterlosen" Sonntagsgottesdienste, was die Sonntagsliturgie erheblich berührt.
Doch die sonntägliche gottesdienstliche Versammlung ist als Ort gemeinschaftlicher Erinnerung für die Christen unverzichtbar. Daneben bedarf es einer allgemeinen Sonntagskultur. Nicht nur für die Christen wäre es eine Bereicherung, neben der eigenen Feiertagsgeschichte auch den jüdischen Sabbat und seine Werte kennen zu lernen und von daher die eigene Sonntagspraxis neu zu kultivieren. Gemeinsame Aufgabe von Juden und Christen muss sein, die Bedeutung von Sabbat und Sonntag als wertvolles Glaubens- und Kulturgut der Gesellschaft vorzuleben und zu vermitteln.

zurück zu

Homepage            Startseite Schäferstündchen            Dekalog            nach oben