Den vorherigen Textabschnitt
nochmals nachlesen?
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Und hier ist die Fortsetzung:Kapitel 1 (2)
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... +Bienchen+ stand auf der Liste am linken Rand. Penthesilea betritt den Raum las ich jetzt auf dem Bildschirm. Gleichzeitig erschien mein nick auf der Liste der Benutzer. Ich hatte noch gar nichts eingegeben. Das ging offenbar automatisch. +Bienchen+:
hallo penthe! Ich tippte "Hallo!" und auf dem Schirm erschien: Penthesilea: Hallo! Das war ja praktisch. Der eigene nick kam automatisch mit, wenn man was schrieb. MikeNRW: hi süße! was machste denn so ganz allein vorm pc? Blöde Frage! Was machten MikeNRW und 3.947 weitere Leute so allein vor dem Bildschirm? Penthesilea:
Und was macht ihr hier? Dumpfbacken, dachte ich. Da hätte ich auch gleich auf Lukas’ Fete bleiben können. Dasselbe öde Balzverhalten. nacht-chatten:
lust auf ein dia, petersilchen? Am linken oberen Bildrand erschien ein neues, kleineres Fenster. Es ragte mit dem rechten unteren Viertel in das Feld des chat-rooms hinein und verdeckte die oberen Zeilen. "Privater Dialog mit nacht-chatten" stand in der Kopfzeile. Und darunter erschien jetzt die erste Textzeile. nacht-chatten:
du bist neu? Warum hatte ich das jetzt geschrieben? Das ging doch niemanden was an. Schon gar nicht irgendeinen nacht-chatten. War das eigentlich ein Mann oder eine Frau? Egal. Hauptsache, er oder sie kannte mich nicht. Gleich würde ich den PC wieder ausschalten und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Das war der Vorteil hier. Es gab keine Spuren. nacht-chatten: das verstehe ich gut Sie ist gestorben - also war nacht-chatten ein Mann. Oder? Das war nicht sicher. Die Tote konnte ja auch eine Schwester oder eine Tochter sein. Oder eine gute Freundin. Na - was ging mich das an? Penthesilea:
Das tut mir leid, nacht-chatten! Mir kamen schon wieder die Tränen. Penthesilea:
Entschuldige. Ich muss mir ein Taschentuch holen. In meinem Zimmer standen die Türen des Kleiderschranks weit offen. Auf dem Bett lagen zerknüllte Halstücher, zwei Kleiderbügel, ein Gürtel und der Beutel mit meinen halterlosen Strümpfen. Meine Mutter hatte sich also mal wieder was "ausgeliehen". Ich hasse das. Wenn ich die Sachen zurückkriege, haben sie Flecken von ihrer Schminke, Laufmaschen oder Brandlöcher. Nach Zigarettenrauch stinken sie auf jeden Fall. Dieses Mal waren es der Stretchrock aus schwarzer Spitze und die rote Chiffonbluse, die im Schrank fehlten. Ich mochte beides nicht. Zu kurz und zu durchsichtig, typische Frustkäufe. Aber wozu hatte sie sich so aufgekreppt? Für Fernsehen und Mitternachtspunsch mit Oma? Das hatte ich sowieso nicht geglaubt. Sie war so aufgekratzt in den letzten Tagen und so erleichtert darüber, dass ich zu dieser Fete eingeladen war. Na ja, ging mich nichts an. Sie lebte seit fast zehn Jahren allein. Vielleicht fand sie ja endlich mal einen Kerl, mit dem sie es länger als zwei Monate aushielt. Penthesilea:
Ich bin wieder da! Was war das denn? "Privater Dialog mit darkangel" stand jetzt in der oberen Zeile des Fensters. Darkangel - wahrscheinlich einer aus der Gothik- oder Satanistenszene. Das fehlte mir gerade noch. Penthesilea:
Hau ab, dark! Wie kriegt man den wieder los? Ich drückte auf das kleine Kreuz in der oberen Ecke des Fensters, das Symbol für "Schließen". Na also. Weg war er. Das Dialogfenster mit nacht-chatten erschien wieder auf dem Schirm. Penthesilea: Ich hatte gerade so einen Spinner im dia. tippte ich ein. darkangel: so schnell wirst du mich nicht los Da war der schon wieder! darkangel: ich bin immer in deiner Nähe. ich folge dir bis in deine schlimmsten Träume. du kannst mir nicht entkommen - Satan sei mit dir Na, das werden wir ja sehen, ob ich dich nicht los werde, dachte ich. Ich klickte auf "Logout" und verließ den chat-room. Und jetzt? Wie sollte ich den Rest der Nacht überstehen? Ich war todmüde und hellwach, überreizt, wütend, traurig. Und einsam. Eine üble Mischung. Im Fernsehen tobte eine Show mit Roberto Blanco, Tony Marshall und Ireen Sheer. Dazwischen Tänzerinnen mit Federbüschen auf dem Kopf und dem Hintern. Aufgezäumt wie Zirkuspferde. Nicht zu fassen! Wer sah sich so etwas an? Oma würde das gefallen. Oma - ob ich sie mal anrufen sollte? Besser nicht. Sie würde sofort nach meiner Mutter fragen und sich für den Rest der Nacht Sorgen machen. Oma machte sich immer Sorgen. Dabei wusste sie nicht einmal, wie viele gute Gründe es dafür gab. Ich stand gerade unter der Dusche, als das Telefon klingelte. Das ist offenbar ein Naturgesetz: Brausekopf und Telefonhörer als kommunizierende Röhren. Dazu gehört unbedingt, dass der Anrufer aufgelegt hat, bevor man den Apparat erreicht. Aber dieses Mal schaffte ich es rechtzeitig.
Hallo Anna! Ich zog mir das feuchte Badetuch bis unter die
Achseln und fuhr den Computer hoch. Offenbar war Felis e-mail ellenlang.
Der angezeigte Speicherplatz reichte für einen Roman. Aber das passte
nicht zu Feli. Wahrscheinlich hatte sie wieder einen aufwändigen Anhang
beigefügt. Genau so war es. Ich begann zu lachen. Mein erstes Lachen im Neuen Jahr. Danke Feli, murmelte ich. Bevor ich die mail-Datei schloss, sah ich mir den Krummschnabel noch einmal an. Er sah aus wie die Uniformen der Öffentlichen Müllabfuhr und ich vertraute darauf, dass unser Uralt-PC nicht mehr farbgetreu abbildete. |
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