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Und hier ist die Fortsetzung:Kapitel 6
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Mit
halb aufgeknöpfter Jacke, den roten Wollschal noch um den Hals
geschlungen, setzte er sich vor den Bildschirm. Seit er die flat-rate
installiert hatte, schaltete er seinen Computer erst aus, wenn er
schlafen ging. Das war selten vor zwei Uhr nachts. Er brauchte wenig
Schlaf. Genauer gesagt: Er konnte nur noch wenige Stunden schlafen, wenn
überhaupt. Morgens, bevor er das Haus verließ, fuhr er den PC wieder
hoch, damit er beim Heimkommen sofort die e-mails, die neuen Beiträge
im Forum und vor allem die Gespräche lesen konnte, die im Chatraum
stattgefunden hatten. Die
banalen Begleiterscheinungen des Alltags spielten keine Rolle für ihn.
Jetzt schon gar nicht mehr. Wichtig war nur noch eines: Er war der
Administrator eines eigenen Chatraums! Lange hatte er nach einem
passenden Namen gesucht und ihn schließlich einfach „SchülerInnenhilfe“
genannt. Das klang zwar phantasielos, aber eindeutig und drückte aus,
worum es ihm ging. In kurzer Zeit wurde der Raum zur Anlaufstelle der Mühseligen
und Beladenen, zur ersten Hilfe bei unlösbaren Hausaufgaben, zur
letzten vor Klassenarbeiten und Klausuren, zum Punchingball für die
Zornigen und zur Klagemauer für die Gescheiterten. Er hatte den Computer und das Internet spät und äußerst widerwillig zur Kenntnis nehmen müssen. Die meisten seiner Kollegen nutzten es längst und der zuständige Netzwerkadministrator sprach ihn bei jeder Gelegenheit darauf an. Aber ohne den entschiedenen Druck seines Chefs hätte er sich niemals dazu aufgerafft, den Einführungskurs in der Akademie Klausenhof zu besuchen. Zu seinem eigenen Erstaunen faszinierte ihn die Sache von Anfang an. Das Internet hatte auf ihn die gleiche Wirkung wie früher das vielbändige Lexikon im Bücherschrank seines Vaters - einmal darin gefangen, fand er nicht wieder hinaus. Er klickte sich von einer Seite zur anderen. Im Gegensatz zu den dunkelblauen Lederbänden seines Vaters verfügte das Internet nicht nur über Text, Bilder und Graphiken, sondern zusätzlich über Videofilme, Animationen, Tonbeispiele und interaktive Landkarten. Es bot ihm Informationen zu jedem denkbaren Lebensbereich. Auch Bücher ließen sich dort bestellen. Er nahm es begeistert zur Kenntnis. Den
Chat entdeckte er eher zufällig, ein Kollege erwähnte ihn. Zu Beginn
trieb er sich lustlos in einigen Foren und Räumen herum und beobachtete
den Auftritt und Abgang der ständig wechselnden Besucher, verfolgte
befremdet die busssssiiii-, hallölle- und knuuuuddel-Orgien, die sich
in öder Abfolge auf dem Bildschirm abwechselten und studierte unverständliche
Kürzel wie fg, thx und afk. Was faszinierte die Menschen hier so sehr,
dass sie stundenlang online blieben? Er begriff es nicht. In den ersten
Wochen schrieb er kein einziges Wort. Der nick, den er gewählt hatte,
passte zu dieser selbst verordneten Stummheit. Er nannte sich
„nonverbal“ - ohne Worte. (MikeNRW betritt den Raum) Er tippte seinen ersten Beitrag ein. Es war wie ein Reflex. nonverbal:
Ja, ich. So
fing sein erster Chat an. MikeNRW: bist echt ein cooler typ, endlich hab ich
das gerafft, thx! Michael erklärte es ihm. Zuerst musste man sich registrieren lassen. Das ging ganz einfach per e-mail. Man gab Namen, Anschrift, eigene mail-Adresse und die gewünschten nicks ein. Man konnte zwei davon registrieren lassen. Wozu, das war ihm damals noch nicht klar. Schon am nächsten Tag fand er die Bestätigung in seiner mailbox und erhielt ein persönliches Passwort. Dadurch waren seine nicks geschützt und konnten von niemandem sonst mehr benutzt werden. Als registrierter Benutzer konnte er jetzt eine Anzahl von ebenfalls registrierten nicks als Freunde abspeichern. Sie erschienen auf einer Leiste am rechten Bildschirmrand, sobald er den Chat betrat, und vor den Namen derjenigen, die online waren, leuchtete ein grüner Punkte auf. MikeNRW war der erste auf seiner Liste. Sie können bis zu 45 Freunde benennen, stand in der Anleitung auf dem Bildschirm. 45 Freunde - was für ein Gedanke. In der Realität hatte er nicht einen einzigen. Inzwischen wurde der Platz auf seiner virtuellen Freundesliste bereits knapp. MikeNRW machte offenbar kräftig Werbung. Schon am Abend nach seiner Registrierung klickte ihn der nächste an. batman4: hi non, verstehste auch was von englisch? Von da an wurden es fast täglich mehr. Es funktionierte offenbar wie ein Schneeballsystem, einer sagte es dem anderen. Wenn er nachhause kam, warteten schon die ersten Hilferufe in seiner mailbox. Vieles wusste er noch auf Anhieb, manches musste er sich erst selbst wieder aneignen. Er schlug in Büchern nach, recherchierte im Netz und besorgte sich aktuelles Material, vor allem für Physik, Chemie und Biologie. Er entdeckte von neuem das Vergnügen des Lernens. Und er fand zum ersten Mal Freude am Lehren. |
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